Die traditionellen Chore haben ein Problem. Nicht nur im Dreiland, sondern in ganz Deutschland ist die Chorlandschaft im Umbruch. Weil der Nachwuchs ausbleibt, nimmt die Vergreisung besonders in den Männergesangsvereinen alter Prägung zu. Parallel entwickelt sich indes eine ganz neue Chorszene, eine, die swingt und groovt und in der englisch gesungen wird, wie Burghof Chef Helmut Bürgel, der Initiator von "Lörrach singt", meint. |
Von Swen Meyer |
In einer Zeit lange vor HipHop, Playstation und Homecinema-Anlagen war es für junge Männer fast schon ein ungeschriebenes Gesetz, in den örtlichen Chor einzutreten. Dort traf man auf Gleichgesinnte, sang zusammen deutsches Liedgut, hatte Spaß und trank danach noch ein paar Bier oder ein Viertele.
Die Chöre gibt es immer noch, auch steht dort die Geselligkeit weiter hoch im Kurs, nur sind inzwischen aus den jungen Männern von einst Großväter und Rentner geworden. Ob beim Chor 72, beim Haltinger Gesangsverein, beim Blansinger Chor oder beim Gesangsverein Sitzenkirch überall hört man das Gleiche: Es herrscht akuter Mangel an jungen Stimmen. Fusionen sind oft der letzte Ausweg, langfristig jedoch wird eine Flurbereinigung nicht aufzuhalten sein.
"Man hat es mindestens eine Generation lang versäumt, den Nachwuchs an den Gesang ranzuführen", macht Gerlinde Engler, die Vorsitzende des Gesangvereins Sitzenkirch, der sich auf die Fahne geschrieben hat, dem Englischen zu widerstehen, die Versäumnisse der Vergangenheit für die Misere verantwortlich. Ernst Räuber, ein Chor Urgestein und letzter Vorsitzender der inzwischen aufgelösten Chorgemeinschaft Lörracher Gesangsvereine, glaubt, die Ursache für die Krise an einem Mentalitätswandel festmachen zu könnnen: "Den jungen Leuten fehlt der Wille zur Kontinuität. Sie wollen anscheinend keine Vereine mehr. Das Problem ist, dass sie immer nur konsumieren wollen, aber nicht bereit sind, selber etwas in die Gesellschaft einzubringen." Von einem Chorsterben will der 69 jährige Lörracher, der seit 49 Jahren aktiver Sänger ist, nicht sprechen noch nicht. "Aber einige Chöre sind stark gefährdet. Das ist leider absehbar", sagt er.
Zum jetzigen Zeitpunkt jammert die Chorszene auf hohem Niveau. Noch bleibt der große Einbruch aus. Der Badische Sängerbund zählt 243 700 Mitglieder, von denen 72 500 in über 2000 Chören aktiv sind. Und auch der Obermarkgräfler Sängerbund zählt immmer noch stolze 2 300 Sänger. "Die Zahlen haben sich in den letzten Jahren nicht wesentlich geändert", weiß Herbert Reiff.
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Gewaltige Stimmen
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Reiff ist einer, der die traditionelle Chorszene vor Ort so gut kennt wie kaum ein Zweiter. Der 71 jährige Binzener Geschäftsmann war 34 Jahre Präsident des Obermarkgräfler Sängerbundes und ist Vizepräsident beim Badischen Sängerbund. Reiff ist ein Mann der klaren Worte, kein Schönredner. "Bei vielen Chören liegt das Durchschnittsalter um die 60 Jahre. In zehn Jahren wird sich das unweigerlich in rapide schrumpfenden Mitgliederzahlen bemerkbar machen. Ich selbst singe seit 1950 mit denselben Leuten zusammen. Da sind Freundschaften fürs Leben entstanden, aber ein junger Mann, der neu dazukommt, wird sich vermutlich schwer tun, sich in diesem Kreis heimisch zu fühlen." Früher, als es zum Chor kaum eine Alternative gab, war das völlig anders. Wenn sich Reiff an damals erinnnert, leuchten seine Augen. Chorstärken von über 180 Männern waren damals die Regel. "Das war gewaltig", weiß Reiff, der sich gerne an Großereignisse wie das Bundesliederfest 1955 in Karlsruhe erinnert. "Mit einer mitreißenden Euphorie sind damals Heerscharen, ja ganze Züge voll, nach Karlsruhe gepilgert. Das war damals das Ereignis", berichtet er.
Natürlich hat sich seit der großen Zeit der Chöre vieles verändert. Das Angebot für junge Leute ist explosionsartig gewachsen. Trotzdem begeistern Musik und Gesang noch immer. Gerade im Dreiland beweist dies der große Erfolg von "Lörrach singt". Wenn die ganze Kreisstadt dem Zauber der Chöre erliegt, ob traditionell oder swingend. "Diese Veranstaltung ist grandios. Ein echter Glücksfall für den Chorgesang. In legerer Atmosphäre werden hier die Massen mit dem Gesang konfrontiert", begeistert sich Reiff. Ein Lob, das Initiator Helmut Bürgel gerne vernimmt. Den Burghofchef stimmt die Veränderung in der Chorlandschaft nicht sorgenvoll, vielmehr sieht er darin einen normalen Prozess: "Es hat sich eine Parallelszene entwickelt. Die Leute, die in den modernen Chören singen, wurden mit ganz anderer Musik sozialisiert. Sie sind viel internationaler und treffen sich eher auf informeller Basis. Das meist gesungene Stück bei 'Lörrach singt' war ein englisches: Birdland. Das swingt, das groovt, das macht Spaß." Manch einem Traditionalisten dürfte dieser Wandel ein wenig zu groovig sein.
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